Samstag, 22. Dezember 2007

Kindersingen

Ich war beim Kindersingen in der Kirche. Freiwillig! Allein diese Tatsache wundert mich. Doch das ist nicht alles, es kommt noch schlimmer. SINGEN! Ich sollte mitsingen. Ich war zwar dort um mir anzuhören wie die Kinder singen, aber darauf wurde keine Rücksicht genommen. Das war weniger freiwillig, denn ich hasse singen! Doch es gab kein zurück, ich sass in der Falle. Bei den ersten zwei Liedern die auch die Erwachsenen mitsingen sollten, waren mir die Götter wohlgesonnen und sorgten dafür, dass die Texte nicht im Gesangbuch standen. Ich konnte also aufatmen, mich zurücklehnen und mir genussvoll das schräge Geträller der Väter anhören. Einer war besonders aufdringlich. Nicht, dass er singen konnte, nein, er machte das gar nicht schlecht, aber irgendwie klang es merkwürdig. Mich beschlich so das Gefühl, dass er vor vielen Jahren aus dem Gesangsverein verbannt wurde und jetzt der Einäugige unter den Blinden war. Die nervös an sich herumnestelnden Kinder erinnerten mich an meine Kindheit. Allerdings nur ein wenig, denn ausser der Erinnerung an meine eigene Nervosität ist alles gelöscht. Ich weiss noch, dass ich auch gesungen habe, aber ich kenne keinen einzigen Liedtext mehr. Es muss so schrecklich gewesen sein, dass diese Gedanken einfach ausgemerzt wurden. Wie man aber lesen kann, wurde mir die Gabe gegeben, hören, sehen und urteilen zu können ;-) Wenn ich als Kind gewusst hätte, wie sehr ruhiges und gerades Stehen beim Singen Selbstbewusstsein ausdrückt, wäre ich wohl Sänger geworden, damit niemand hätte merken können, dass ich gar nicht so selbstbewusst war. Aber zurücklehnen und urteilen ist auch schön. Jedenfalls bis zu der Stelle, an der ich dann singen musste. Jetzt nicht mitzumachen wäre Ausdruck unendlicher Feigheit, also schlug ich Seite 418 im Gesangbuch auf und fing an zu lesen. Seite 418, meine Güte, wieviel singen die hier bloss? Ich blicke also auf Seite 418 und frage mich, was die von mir wollen, denn ich weiss gar nicht so recht, wo ich lesen soll. Oben stehen über Noten winzige Buchstaben, die ich, trotz Brille, nicht entziffern kann. Ach, darunter stehen grössere Zeichen. So was wie tra-la-ha-la. Klar, kein Problem, ich soll so singen. Kein Problem! Kein Problem? Die anderen singen aber nicht so. Sie singen Traha-lahala. Was soll denn das jetzt? Dann habe ich zwei grammatikalische Fallfehler bei ner Strophe mit irgendwelchen Engeln gesehen. Erst sangen alle anders als da steht und dann übergehen sie ohne zu zögern die Fallfehler. Stillschweigendes Einverständnis kapitaler Fehler. Und dann kam der Sohn. Hol - der - Sohn. Schon wieder ein Fallfehler! Hol der Sohn, statt hol den Sohn. Nein, verdammt, holder heisst das ja. Das Wort wurde doch vor meiner Geburt zum letzten mal ausgesprochen, oder? Ich war schnell genug. Erstaunlich, wie schnell Gehirne arbeiten. Die Kurve mit den hoch - hei - li - higen, war dann aber entschieden zu steil für mich. Im Ernst, das ist doch nichts für normalsterbliche, oder? Ohne ein zumindest angefangenes Theologie- Studium ist hier nix zu machen, da stimmt einfach der Textfluss nicht. Aber ich war tapfer und hielt durch. Ganze zwei Lieder musste ich mitsingen und mich selbst anhören. Gut, dass ich nur über andere urteile.

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.