Donnerstag, 28. August 2008

Die erste Seilschaft




















Das ist eben so, wenn man auf nem Gletscher herumspaziert, muss man sich gegenseitig sichern, sprich: sich aneinander festseilen.
Wir waren zu fünft, was die im Falle eines Spaltensturzes die sicherste Seilschaft sein soll. Das ist alles überhaupt kein Problem, denn ich kenne das ja schon vom Klettern, DACHTE ICH.
Es fing ganz harmlos an und schlich sich dann kriechend in mein unvorbereitetes Gehirn.
Kein Rhytmus!
Es ist nicht möglich beim Gehen einen Rhytmus einzuhalten.
Erst trat ich fast auf das Seil meiner Vorderfrau, dann straffte es sich wieder und ich musste schneller gehen. Ein einziges Hin- und Her, welches nur ein kleines Bischen nervte. Jedenfalls so lange, wie die Kräfte reichten und ich auf keinen Rhytmus angewiesen war.
Gefesselt!
Mich beschlich das Gefühl im Rhytmus anderer Leute gehen zu müssen und dem nicht entkommen zu können. Ich war gefesselt! Ich war zwangsweise ein Teil eines Ganzen das nur zum Zwecke des Überlebens vereinigt ist und sich in einem unnatürlichen Takt durch die Schneewüste und zwischen den Gletscherspalten fortbewegt.
Zeitdruck:
Mir war nicht klar, dass sich auf dem Aletschgletscher so viele Spalten befinden und das Wetter war zwar brauchbar, aber nicht blendend. Diese Faktoren kosten Zeit was natürlich auch die Konsequenz hatte, dass meine "Fotoshootings" nicht bei allen gerne gesehen waren, was mich widerum nervte. Ich würde vielleicht nicht gerade mein Leben für ein gutes Foto geben, aber es steht in meiner Prioritätsliste sehr weit oben. Jedenfalls handelte es sich hier tatsächlich um eine ernste alpine Angelegenheit die zügiges Vorankommen erforderte, denn es waren wirklich ungewöhnlich viele Spalten auf dem Gletscher.
Der Zeitdruck wirkte sich nicht nur auf`s Fotografieren aus. Es wurde das Tempo angezogen, pinkeln ging nur bei der Pause oder gemeinsam und die üblichen Stopps zum Ansehen der Natur waren dünn gesät. Alpin eben, keine Zeit für Faxen!
Anstrengung!
Unmerklich kroch die Schwäche in meinen Körper, ich bemerkte es nicht einmal. Möglich, dass es die ungewohnten Anstrengungen durch die Steigeisen waren, vielleicht die Höhe oder der fehlende Rhytmus. Auf jeden Fall aber war mein Rucksack zu schwer, denn ich hatte ja eher mit einem langen Spaziergang gerechnet. Darüber hinaus bin ich bei Steigungen ohnehin ein "nasser Lappen", was sich dort oben vielleicht potenziert hat.
Ehrlich, die Tour hat eigentlich den Schwierigkeitsgrad -1 ohne Spalten, und die bescherten uns nur Umwege und kaum Kraftanstrengung. Aber der letzte zarte Anstieg zur Hollandiahütte war ein unvergessliches Erlebnis.
Ich hatte einfach keinen Dampf mehr auf dem Kessel, was für mich nicht weiter ungewöhnlich ist. Ich komme dann eben ne Stunde später, kein Problem.
Doch ein Problem!
Ich gehe in der Seilschaft und kann nicht jedesmal nach fünf Schritten anhalten und mir zur Erholung die Gegend angucken.
Es geht nicht, keine Chance. Ausserdem schaffen es die anderen nicht, so langsam wie ich zu gehen. Meine Po- Muskulatur versagt mir den Dienst und ich versuche irgendwie, einen Fuss vor den anderen zu setzten. Eins, zwei, drei, vier, ENDE. Der Schnee auf dem Eis ist weich und ich habe wieder einen dicken Klumpen unter dem Fuss, den ich nicht ignorieren kann. Es ist scheiss steil am Hang und unten am Fuss wartet eine fette Spalte auf uns. Mich beschleicht das Gefühl, das Wegrutschen hier verboten ist, aber genau dieses Ziel verfolgt der verfluchte Schnee- Klumpen unter meinem linken Fuss. Ich muss jetzt eigentlich nur meinen Fuss weiter hochheben, mit dem Eispickel gegen den Schuh schlagen und dann fällt der Klumpen ab. Während ich also gerade leicht wegrutsche, in den gierigen Schlund am Fusse des brutal steilen Hanges blicke und darüber nachdenke ob ich die anderen wohl mitreissen würde, versuche ich mit letzter Kraft nicht nur meinen Fuss höher zu heben, sondern ihn auch wirklich mit dem Pikel zu treffen, während es gleichzeitig an meinem Gurt zieht, weil ich zu langsam bin. Also ziehe ich ebenfalls am Gurt, hebe den Fuss, schlage mit dem Eispickel und lasse das linke Bein einfach fallen, damit sich Zacken ins Eis bohren und ich wieder einen drittel Schritt gemacht habe, "wohl wissend", dass mich hier keiner lieb hat, niemand meine Steigeisenprobleme versteht und ich alle nur nerve.
Für mich wurde ein 9000er geboren!
Schritt für Schritt quälte ich mich durch und wollte einfach nur meine Freiheit.
Ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen zu fragen, weil es einfach ausgeschlossen war, aber ich verstand in dem Moment eigentlich überhaupt nicht, warum ich hier angeseilt sein muss. Es lagen nur noch ca. 50 Meter Steigung und 300 Meter Querung vor uns. Klar, steil und gefährlich, aber versteckte Spalten waren nicht mehr zu erwarten. Warum konnte ich mich also nicht einfach abseilen, mir nach jeweils fünf Schritten die Gegend ansehen, meine vermaledeiten Steigeisen abklopfen und wieder fünf Schritte gehen. Was, verdammt noch mal, ist daran so schwer?
Ich komme dann lediglich zu spät zum Essen, nerve aber keine anderen Leute.
Wenn ich gefragt hätte, wäre ich in der Hütte sicher der Lynchjustiz der anderen zum Opfer gefallen, weil ich auf so eine scheiss Idee komme, deshalb hatte ich es lieber gelassen. Also kämpfte ich mich weiter durch und konzentrierte mich ausschliesslich darauf die Zacken solide ins Eis zu rammen.
Der schwere Atem, die offensichtliche Quälerei.....
Das was ich in Filmen bei Menschen auf schwierigen 8000ern gesehen hatte ereilte mich auf einem "3000er Schlapphang". Und plötzlich ist ein relativ einfacher 6000er so weit weg wie der Mond. Lesen und ausüben sind eben verschiedene Welten.
Fazit:
Das war voll der "Psychokiller".
Gestern war ich der festen Überzeugung mich nie wieder in Seilschaft zu begeben.
Heute bin ich mir nicht mehr so sicher!

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