Monte Generoso
Die Via ferrata war geklettert, neue Abenteuer riefen. Ich plante, zum
Gipfel des Monte Generoso zu gehen, dort in der Hütte zu schlafen,
und am 12. Juli den Klettersteig zu begehen. Laut I-Net sollte
die Fahrt zum Talort 1h Stunde dauern. Dazu kam die Fahrt mit der
Zahnradbahn nach Bellavista, also noch einmal eine halbe Stunde.
Dann noch der Weg zum Gipfel, den ich, wegen dem vollen Gepäck,
mit 1,5h veranschlagte, obwohl die Bahn auch bis 50m unter den
Gipfel fahren würde, aber ich wollte ja laufen. Vielleicht würde ich in
Bellavista Wegweiser zum Klettersteig sehen, in Lugano war ja alles
sehr gut ausgeschildert. Dann könnte ich eventuell das Gepäck in der
Hütte unter dem Gipfel abgeben, 1 Station runterfahren,
hochklettern, in der Hütte übernachten und so einen vormittag
einsparen. Da ich kein Bergsteiger bin, wachte ich am nächsten
Morgen erst um 08:00h auf, packte meine Sachen bis ca. 09:00h
und frühstückte dann gemütlich. Um 10:00h war ich im Zug, um
11:00h in Bellavista, um 12:00h auf dem Gipfel. Das ging wesentlich
schneller als geplant. Leider hatte ich keine Hinweise auf die ferrata
gesehen. Der Gipfel war nicht nur voll, sondern bestand aus einem
sehr grossen Plauteau, so das ein richtiger Rundblick nicht möglich
war. Ich musste mich zwischen die Menschen drängeln um Fotos
machen zu können, lief dann die 10m zur anderen Seite und machte
das nächste Foto.
Ich hatte nicht das Gefühl auf einem Gipfel zu stehen, das Ganze
hatte eher U-Bahn Station Flair. Die Hütte sah auch nicht besonders
einladend aus. Was also tun? Den Klettersteig suchen?
Zur Hütte gehen, fragen und noch einmal den halben Berg
umrunden? Es erschien mir nicht lohnenswert, mich auf die Suche
zu machen, irgendwann die ferrata zu finden und mich dann eine
bescheidene Stunde zu amüsieren. Ich hatte einen Tag zuvor schon
das Vergnügen, und hier wäre es wohl nicht viel mehr als alter Wein
in neuen Schläuchen. Die Wand ist auch nicht höher, der Steig als
schwer deklariert, was leichter ist, als der San Salvatore. Wenn ich
aber mit vollem Gepäck den Abstieg bis zum See machen würde,
wäre meine Physis bis aufs äusserste gefordert. Ausserdem sah
der Weg den Grat entlang sehr verlockend aus, und es war
interessant für mich, dem solo Klettern ein solo Wandern folgen
zu lassen. Inzwischen war es 13:00h, Zeit genug um die ca. 1400m
abzusteigen und zum alten Hotel zu fahren. Auf dem Rückweg
bestieg ich noch den Vorgipfel. Hier bot sich endlich ein feiner
Rundblick. Das ist eher ein Gipfel. Mit kleinerer Fläche und
Grasbewuchs auf der Kuppe. Hier war auch der Endpunkt des
Klettersteigs. Er sah abgesperrt aus, was mir endgültig die
Motivation raubte, den Einstieg finden zu wollen.
Doch es sollte noch besser kommen. Ein guter
Aussichtspunkt jagte den anderen. Einfach grandios.
Das dumme am Abstieg ist, dass man absteigt und dadurch die gute
Sicht verliert. Es kommt der Punkt, an dem nur noch das Laufen
bergab übrig ist. Anstrengendes Gehen, das die Knie aufs ärgste
belastet und schier endlos dauert. Die Gefahren von Grat und
steilen Hängen waren vorüber. Der alleinige Umgang mit den
Gefahren war überstanden. In der Vergangenheit war ich schon
Streckenabschnitte solo gegangen, und die Gefühle waren ähnlich.
Die Eindrücke und Empfindungen sind intensiver, was nicht
zwangsläufig besser sein muss, denn Gefahren werden schnell diffus
und sind schwer zu beurteilen. Die Angst wirkt stärker, denn es gibt
keine Ablenkung. Allerdings ist auch man frei in seinen
Entscheidungen und kann zB das Tempo nach belieben bestimmen.
Teilweise bin im Dauerlauf gerannt, einfach nur, weil ich den Drang
verspürte. Wenn ich mit einem schweren Rucksack durch die Gegend
laufe, fühle ich mich manchmal einfach nur unheimlich gut. Frei,
voller Kraft und Dynamik. Nichts lenkt mehr ab, es gibt nur noch
gehen, atmen, und das Spüren des Organismus. Und wenn ich dann
gerade so am atmen, spüren und rennen bin, passiert es eben, dass
ich hier und dort mal ne Abzweigung übersehe. Opfer müssen
gebracht werden, sagt der Schachspieler. Macht ja nichts, solange
ich noch rechtzeig merke, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich
hatte es ja nicht eilig, und ausserdem war ich ohnehin schnell genug.
Nach dem zweiten mal war dann doch nicht mehr sehr viel Zeit
übrig und konzentrierte mich schon mehr auf die Schilder. Trotzdem
machte ich einen riesigen Bogen und wunderte mich, dass Melide
links von mir lag, wo sie doch rechts von mir liegen sollte, wenn ich
ankomme. Ist ja auch egal, ich war am Ziel. Dachte ich. Es war dort
keine S-Bahn Station zu sehen. Es war erst 17:30h, also genug Zeit
um zum nächsten Dorf zu laufen. Auf die 3Km kam es auch nicht
mehr an. Um 18:40h war ich im Hotel. Die Füsse waren rund, die
grossen Zehe an der oberen Seite leicht aufgescheuert. Abstieg
eben. Egal, die Tour hat Spass gemacht, es war die Sache wert.
Anders herum gelaufen, ist das sicher eine sehr, anstrengende,
aber viel lohnenswertere Wanderung, denn wenn es touristisch
und ungemütlich wird, steht die Zahnradbahn für den Weg nach
unten bereit.
Ist doch lockerer Oder?